Piraten-Grillen beim PolitCamp

Logo des PolitiCamp 2012Es ist manchmal das harte Erwachen, das uns die guten Dinge erst richtig bewusst macht. Die Session mit Andreas Baum zum Beispiel. Also nicht das große Podium um 15:00 Uhr, sondern die kleine Runde im Kubus genau eine Stunde zuvor. Hier gab es, wie so oft am PolitCamp-Wochenende 2012, BarCamp in Bestform. Präse – These – Diskussion. Und am Ende ein Ergebnis, mit dem der Vortragende zufrieden sein konnte.

Andreas Baum fragte nach kreativen Lösungen für komplexe Probleme am Beispiel des Berliner Späti-Dilemmas. Alle wollen die Spätis aber keiner kümmert sich darum, auf welcher rechtlichen Grundlage die neumodischen Tante-Emma-Lädchen existieren. Denn Fakt ist, laut aller bestehenden Regelungen müssten diese liebgewonnen Ikonen des Berliner Wochenendes am Sonntag ihr Türen verschlossen halten. Tun Sie aber nicht.

Wie kann man das Problem nun lösen? Lest einfach im Piratenpad nach.

Von dieser Art Session habe ich auf dem PolitCamp 2012 einige erlebt. Sei es die Diskussion mit Zoe Leela zum Urheberrecht, die spontane Runde mit Jens Best zu „Transparenz konkret“, die Publixphere-Präsentation und nicht zuletzt mein eigener Aufschlag zum BarCamp beim Parteitag. Alles Sachen, aus denen ich mit einem Erkenntnisgewinn herausgegangen bin, über den ich mich im Nachhinein richtig freue.

Dann ging es am Sonntag, dem zweiten Tag des PolitCamp 2012, auf 15:00 Uhr zu. Spontan aber sehr gern übernahm ich (wieder) die Moderation für das Panel „1 Jahr Piratenpartei im AGH“, kramte meine nicht sehr umfangreichen Vorbereitungen heraus und ging auf die Suche nach den PanelistInnen. Andreas Baum, Gottfried Ludewig und Christopher Lauer hatte ich in der Session zuvor bereits entdeckt. Auch Annett Meiritz war schon da. Nur Sven Kohlmeier hatte ich bis zu Beginn des Slots nicht erblickt. Da saß er aber schon neben Gottfried Ludewig und so konnte es losgehen.

Ich war ein bisschen nervös. Mein Intro war entsprechend holprig und auch etwas gequält. Eine direkte Frage zu Beginn wäre wahrscheinlich besser gewesen. Aber das nehme ich als Lerneffekt einfach mal mit. Vor der Session hatte ich im Grunde wenig Kontakt mit den Teilnehmern. Bei Gottfried Ludewig und Annett Meiritz könnte man noch am ehesten von einer Art „Vorgespräch“ reden. Mein Eindruck: Alles ganz entspannt.

Weit gefehlt.

Das Konfliktpotential war mir schlicht nicht bewusst. Ich hätte im Traum nicht daran gedacht, dass dieses Panel Züge eines Tribunals über die Piratenpartei in Berlin und überhaupt annehmen könnte. Doch dorthin verrannte sich die Diskussion zum Teil. Auch war mir die offensichtlich sehr persönliche Antipathie zwischen Christopher Lauer und Sven Kohlmeier schlicht nicht bekannt.

Was ist geschehen?

Meine Panel-Idee vom Blick in den Maschinenraum des politischen Betriebs, nach den Erfahrungen der Piraten und mit den Piraten hielt im Prinzip keine 5 Minuten. Es wurde parteipolitisch. Und das knallhart. Anklage und Verteidigung, Gegenklage und wieder Verteidigung gaben sich die Klinke in die Hand. Es wurde persönlich und wieder generell. Nach circa zehn Minuten hatte ich keine Ahnung mehr, wohin das Panel gehen würde und versuchte nur noch, die Diskussion irgendwie im Griff zu behalten.

Christopher Lauer folgte der Debatte anfänglich mit demonstrativem Desinteresse. Das war nicht unbedingt neu. Aus verschiedenen TV-Sendungen war mir bekannt, dass er zu solchem Verhalten neigt, wenn er eigentlich gar nicht da sein wollte. Warum er trotzdem kam, war mir in dem Moment schleierhaft.  Ich hatte einige Minuten den Eindruck, er wollte gar nicht mitmachen, ließ die Kritik einfach über sich ergehen und gut.

Wieder weit gefehlt.

Während sich Sven Kohlmeier, Gottfried Ludewig und Andreas Baum durchaus impulsiv mit einander auseinandersetzten und Annett Meiritz das Treiben anfänglich mehr beobachtete als aktiv einstieg, ergriff Christopher Lauer nach gewisser Zeit dann doch das Mikro und beteiligte sich. Inhaltlich spitz, performativ aber eher desinteressiert bis gelangweilt. Die Reaktion auf der Bühne und vor allem im Publikum war für mich dann wiederum überraschend. Es trat offene Ablehnung zu Tage. Was ich vorher nur von Twitter und Blogs kannte, brach aus. Der Shit-Storm. Live.

Das hatte ich völlig unterschätzt.

Was ich ebenfalls völlig anders erwartet hätte, trat nun ein. Nach einigen weiteren Vorwürfen – ganz speziell von Sven Kohlmeier an Christopher Lauer – kippte die Stimmung auf dem Podium. Christopher Lauer hatte keinen Bock mehr. Vorbei war es mit der demonstrativen Ruhe in seiner Stimme. Er erhob sich von seinem Stuhl, schob diesen zurück, stellte sich an die Kante der Bühne, ging aber nicht sondern keilte viel mehr zurück.

Da ich diese Replik trotz des Aufstehens – das kann ja auch ein dramatisches rhetorisches Mittel sein – als Ausweis dafür missverstand, dass hier der Zug noch nicht ganz abgefahren war, bat ich ihn, wieder Platz zu nehmen. Würde es halt lauter. Nun gut. Doch dann legte er sein Mikro ab und ging. Anschauen kann man sich das große Finale dieses Schauspiels auf YouTube:

War es das jetzt? Lösten wir die Session auf? Nein. Es ging weiter. Und dafür möchte ich allen Beteiligten ausdrücklich danken!

Nachhaltig beeindruckt, gerade nach der Aktion von Christopher Lauer, hat mich Andreas Baum. Er ließ sich weder von den teils ruppigen Angriffen auf die Piraten noch durch den Abgang seines Co-Vorsitzenden aus dem Konzept bringen, diskutierte weiter, rechtfertigte sich und brach eine Lanze nach der anderen für die seine Partei. Angesichts der vorangegangen Eskalation nicht unbedingt eine Selbstverständlichkeit.

Was für mich von dieser Session übrig bleibt, ist selbstverständlich gänzlich anders als das, was ich erwartet habe. Ich grüble aber gar nicht über Christoper Lauer und seinen langen Marsch durch den Mittelgang, der ihm am Ende neben all dem individuellen Frust, der üblichen Twitterwelle vor allem eine Meldung auf SPIEGELonline beschert hat.

Ich bin auch nicht enttäuscht von den Piraten, ihrer Arbeit, ihren Zielen oder ihrer Präsenz. Vielmehr frage ich mich, warum der immer noch jungen Partei so viele negative Emotionen entgegen schlagen. Vor allem wenn sich diese eigentlich an einzelnen Akteuren entzünden, aber eins zu eins auf die Partei projiziert werden.

Brauchen wir, die anderen Parteien, die Medien, die Idealisten des Politischen vielleicht einfach die Gewissheit, doch besser zu sein oder bricht hier der gesammelte Frust aus uns heraus, der sich aufbaute, als die Freibeuter des deutschen Parlamentarismus in Umfragen höher und höher stiegen und wir uns das mit den uns bekannten Mitteln nicht begreifen konnten?

Ich glaube am Ende können wir daran, wie wir mit den Piraten umgehen, eine ganze Menge lernen. Einiges sogar über uns.

Das PolitCamp war, ist und bleibt dafür genau die richtige Plattform.

Bis zum nächsten Jahr.

8 Gedanken zu „Piraten-Grillen beim PolitCamp

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  3. André Betz

    Wobei man ganz ehrlich sagen muss, dass dass Grillgut am Sonntag so frisch war, dass es auf eigenen Beinen zum Barbeque kommen konnte.

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  4. Christopher (nicht Lauer)

    Ich bin froh, daß Du das Video verfügbar gemacht hast. Ich hatte mir beim lesen das Verhalten weitaus rüpelhafter vorgestellt, da stiftete das Video Klarheit.

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  5. Pingback: LiquidFriesland auf dem Politcamp 2012 >> 50hz - Werkstatt für Netzkommunikation

  6. tauss

    War ich bei einer anderen Veranstaltung? Die Piraten auf dem Podium wurden – incl. durch Kohlmeier , dessen Art ansonsten auch „gewöhnungsbedürftig“ ist, geradezu liebkost. Die Stimmung kippte allein wegen des unsäglichen Verhaltens Lauers – VOR dessen unsäglichem Abgang .

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