Was ist Netzpolitik?

Es ist ein spannendes Thema aber auch vermintes Gebiet. Denn die Frage: „Was ist Netzpolitik?“ hat das Potential, mit genervtem Kopfschütteln quittiert zu werden oder aber ein Feuerwerk an Antworten abzubekommen. Googelt man die Frage, gibt es erstaunlich wenige Suchergebnisse. Und egal wie man „Netzpolitik“ definiert, Einigkeit wird vermutlich darüber herrschen, dass sich diese genau wir ihr Medium ständig verändert.

Wo sind wir also heute? Ist Netzpolitik das, was Markus Beckedahl und seine Mitstreiter bei netzpolitik.org betreiben? Oder ist es vielmehr das, was ein gutes Dutzend Netzaktivisten zurzeit sehr perfektionieren? Das Parforceritt von einer Dialog-Veranstaltung zur nächsten, die Teilnahme an Konsultationen, Kommissionen und Foren. Einige wissen wahrscheinlich gar nicht mehr, ob sie heute oder morgen ins BMI müssen, zum BMFSFJ eingeladen sind oder im BMELV über Schreibwaren diskutieren können. Es ist wahrscheinlich gerade sogar ziemlich anstrengend, Netzbürger zu sein. Lobbyist der Comunity, Fürsprecher der digitalen Freiheit oder sogar Vorsitzender des Verbandes der Computerspieler.

Ich denke, für den Begriff „Netzpolitik“ gibt es gerade zwei Bedeutungsströmungen. Die erste ist dem klassischen Lobbyismus wahrscheinlich näher als es ihren Vertretern lieb ist. Es geht um die Philosophie des Netzes. Netzneutralität, Open Data, Open Source, Open Gov und andere idealtypische Umgangsweisen mit Informationen, Daten und Verbindungen. Es geht in einer gewissen Art um eine reine Lehre. Nämlich die, dass die Grundidee des Internets sehr freiheitlich ist. Wenige Regeln, viel Eigenverantwortung und ein kulturelles Element.

Die zweite Bedeutung von „Netzpolitik“ geht meines Erachtens davon aus, dass sich die Politik im Netz eine neue kommunikative Grundlage gibt. Alle Themen und Bereiche können netzpolitisch diskutiert werden. Partizipation ist das Zauberwort. Parteien gibt es hier nicht. Nur Themen, Meinungen, Meinungsbildung und digitale Mehrheiten. Beispiele dafür sind die Kampagne für Joachim Gauck, in der aus den Schnellschüssen einiger engagierter Politinteressierter eine Bewegung im Netz wurde, und die mittlerweile so genannten Twitter-Revolutionen in manchen autoritären Staaten.

Mit einer Flasche Rotwein und einigen Netzaktivisten am Tisch oder auf der Timeline würde man wahrscheinlich noch viele andere Bedeutungen ausfindig machen, doch hier soll ja nichts vollständig sein. Vielleicht entspinnt sich in nicht allzu ferner Zukunft eine Diskussion zu diesem Thema. Ein Ergebnis könnte dann sein, dass der Begriff „Netzpolitik“ zumindest etwas bewusster genutzt würde.

Vielleicht ist aber auch das netz politik bier berlin heute schon zu neuen Erkenntnissen gelangt. Das erfährt man am schnellsten mit dem Hashtag #npbb

4 Meter unter Normalnull – Das Oderbruch

Es geht bergab, wenn man ins Oderbruch will. Geografisch bedingt. Weit runter. Bis unter den Meeresspiegel. Die Ortungsanzeige des Navis fällt bis auf -4 Meter. Ein verstörender Anblick.

Angesichts der aktuellen Hochwasserlage an der Oder gewinnt das nicht nur an Reiz. Es ist fast etwas bedrohlich. Ganz besonders, wenn man die Ebene durchfahren hat und am Deich ankommt, hinaufklettert und sieht, dass das Wasser des deutsch-polnischen Grenzflusses einige Meter höher steht als das Hinterland.

Trotzdem ist das Bruch immer eine Reise wert. Und wenn es nur ein Tagesausflug ist. Das Land ist so flach, dass man heute schon sieht, wer morgen zu Besuch kommt (Sorry, ein platter Witz…).  Herrliche kleine Dörfer und eine Landschaft, in der man sehr gut die Seele baumeln lassen kann. Also: Hinfahren!

Kulturkiller „Anwohnerbeschwerde“

Jetzt geht es um die Wurst. Aber nicht im metaphorischen Sinne, sondern ganz real. Und es geht nicht um einen von hunderten Grillwalkern, die es in Berlin an jeder Ecke gibt. Es geht um die Wurst beim und vom Thüringer.

Das Restaurant „Der Thüringer“ im Gebäude der Vertretung des Freistaates Thüringen beim Bund betreibt seit geraumer Zeit in der Mittagspause einen wunderbaren Holzkohlegrill vor seiner Tür. Egal ob im Sommer bei 30°C oder im eiskalten Dezember des letzten Jahres bei -10°C. Die sympatische Dame steht bei jedem Wetter dort und verkauft frisch gegrillte Rostbratwürste und Rostbrätl. Man kommt hier sogar mit thüringer Dialekt und mitteldeutscher Wortwahl weiter und muss beim ordern einer „Roster“ nicht unverrichteter Dinge und hungrig von dannen ziehen.

Dieser Tage wird man aber neben der netten Dame auch von einer Unterschriftenliste begrüßt. Doch diesmal geht es nicht um Abwasser, Pro Reli oder den Flughafen. Es geht ganz simpel und direkt „um die Wurst“. Denn wie schon bei Kindergärten, Sportplätzen und international bekannten Clubs des Berliner Nachtlebens schlägt auch am Grill an der Mohrenstraße das Breitschwert des mündigen Bürgers zu.

Eine ANWOHNERBESCHWERDE. (vielleicht auch zwei)

Dieser mir nicht bekannte Anwohner drängt nun darauf, dass der Grill verschwindet. Ein Grill, der meines Wissen nur werktags und nur in der Mittagspause aufgebaut wird. Und der den angrenzenden Bürokomplexen, Ministerien und Geschäften rund um die Friedrichstraße als willkommene Abwechslung zum Kantinen- und Food-Court-Essen dient. Dieser soll jetzt weg.

In mir kochte schon die Wut über das neue Lieblingshobby einiger Zeitgenossen: Dahin gehen (wohnen oder arbeiten), wo es schön ist und dann Stück für Stück das vorgefundene kaputtmeckern, wegverklagen und in-die-Versenkung-beschweren.

Glücklicherweise lassen sich die Thüringer nicht ihre gute Laune verderben und nutzen die Unterschriftensammlung zum Erhalt des Grills gleich noch, um beim Bezirksamt eine Sondergenehmigung zu beantragen. Mit dieser Sondergenehmigung wollen sie ihren Grill von der Häuserwand über die Straße bringen und ihn auf der wunderschönen Straßeninsel etablieren, die hier an der thüringer Vertretung von der Mohrenstraße umschlossen wird.

Egal wie, ich hoffe, der Grill bleibt erhalten. Wer in der Mittagspause mal wieder Lust auf eine Roster oder ein Rostbrätl hat, soll in die Mohrenstraße kommen und kann dann direkt für die Wurst unterschreiben.

Konzert: Metapop im Kaffee Burger

Ton-Erik ist vor dem Auftritt extra nochmal über die Bühne gekrochen, hat die Mikros gegen die Monitorboxen gehalten, die Position variiert und hin und her probiert. Keine Rückkopplung. Dann kommen Dangaa und Kasim auf die Bühne, der Beat setzt ein und Rums: RÜCKKOPPLUNG. Erik kommt ins Rotieren, dreht und schraubt am Pult herum, wird aber leider nicht mehr Herr dieses Problems. Egal.

Der Abend ist trotzdem gelungen. Dangaa und Kasim machen Musik, die mitnimmt. Die Texte sind inhaltsstark, der Sound ist außergewöhnlich und was ganz wichtig ist: er ist eigenständig. Man hat das nicht schon mal irgendwo gehört.

Nach zwei Liedern weiß man, Dangaa-und-Kasim-Songs erkennt man als solche. Und das ist schön so. Kasims Sprechgesang ist klar und deutlich. Selbst wenn er das Tempo anzieht, macht er das so dezent, dass auch der ungeübte Zuhörer mitkommt. Dangaas Gesang ist klangvoll und mitreißend. Sie schafft es, den kleinen Raum im Kaffee Burger zum Schwingen zu bringen. Die Gäste wippen angenehm mit, wenn ihre Stimme in den Raum greift.

Das Duo teilt sich genau das, was man teilen sollte, wenn gute Musik herauskommen will. Kasim ist der Beat und Dangaa die Atmo. Zusammen bauen sie das entscheidende: Stimmungen. Den beiden kann man eigentlich nur eins wünschen: Eine anständige Tonanlage, damit auch live das rüber kommt, was vom Band super funktioniert.

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Ein Ritt auf der Nachrichtenwelle

Im aktuellen SPIEGEL gibt es doch noch einen richtig guten Artikel. Unter dem Titel „Die zerhackte Zeit“ wird (ab Seite 42) der Nachrichtenwahnsinn des täglichen Politikbetriebes sehr anschaulich beschrieben. Always on ist da fast lächerlich. Alway live trifft den Zustand der politisch Aktiven viel besser.

Sehr plastisch beschreiben Markus Feldenkirchen und Dirk Kurbjuweit, wie am laufenden Band Nachrichten produziert, verbreitet, rezipiert und weiter verwurstet werden. Schlimm sind dabei nicht mehr schlechte Nachrichten sondern der Moment, vor dem jeder Beteiligte mehr oder minder offen Angst hat:

Keine Nachrichten.

Am plastischsten visualisiert in der Szene, als das Handy der Kanzlerin in Korea eine Stunde braucht, um ein Mobilfunknetz zu finden. Plötzlich sitzt sie mit ihrem Sprecher „schweigend im Wagen“.

Ein toller Artikel über den Dauerstress, den die mediale Realität entwickelt. Bleibt nur noch die berechtigte Frage, wann man diesen Artikel denn endlich kostenlos online lesen kann…

gepökelt, zerkleinert, zusammengefügt, gegart, geräuchert

So wirbt der vitale Lebensmittelproduzent für mein Abendessen. Was wird das sein? Jetzt wäre ein Lebensmittelchemiker auf der Kurzwahl sicher sinnvoll…

Aber was solls. Ich stürze mich in das Experiment und probiere die „Putenbrust nach Kasseler Art“. Da ich davon ausgehe, dass auch einige pflanzliche Produkte zerkleinert, zusammengefügt und geräuchert wurden, spare ich mir eine Gemüsebeilage und konzentriere mich fürs Wohlbefinden auf mein Vollkornbrot.

p.s. Ja, ich werde nach dem Essen den Herd putzen 🙂

Der SPIEGEL und die mediale Arschbombe

DER SPIEGEL 2/2011 und eine KerzeHauptsache die Welle hat eine ordentliche Höhe, muss man sich im Hochhaus an der Brandstwiete gedacht haben. Also setzt der SPIEGEL in der zweiten Woche des jungen Jahres 2011 auf das ungelenke Mittel der medialen Arschbombe.

Weder etwas Neues noch irgendeine Form von Eleganz zeichen diese brachiale Aktion aus. Eine mediale Aktion, die sich ganz bewusst an einem jugendlichen Turmsprung orientiert, mit dem jeder Ausflug ins sommerliche Freibad seinem Tiefpunkt zugeführt wird. Jeder weiß, was kommt. Eine große Welle, die sich genauso schnell verflüchtigt, wie sie entstanden ist.

Die eindruckvollste Arschbombe braucht aber zwei Partner, mit denen sich so richtig Druck aufbauen lässt. Nämlich die Beine des Hoppsenden, bei denen ganz simpel gilt: Je mächtiger diese gebaut sind desto größer ist die Welle.

Das erste Bein der hier in Rede stehenden Arschbombe ist die aktuelle Titelgeschichte des SPIEGEL 02/2011. Unter dem Titel „Die Unersättlichen“ wird bedeutungsschwer die Datenkrake „Internet“ in ihrer ekelhaftesten Form auf das Titelblatt gebracht.

Dieses zahnspangentragende Monster (ja, die Vernunft der Krake orientiert sich an der eines frühreifen Teenagers) besteht laut SPIEGEL im Wesentlichen aus ganz vielen bösen, weltumspannenden und privatlebenmordenden Unternehmen, die uns nicht nur zum gläsernen Menschen machen wollen. Nein, sie machen uns zum dem, was wir scheinbar so gern sind: zum Opfer. Wenn man bei der Lektüre dieses Artikels „Sacrifice“ von Lisa Gerrard und Peter Bourke auflegt, wähnt man sich direkt in einem Thriller-Update von The Social Network.

Bildlich gesprochen zieht uns die Datenkrake aus der Sicherheit unserer heimischen 4 Wände und reißt uns mit ihren 360-Grad-Kameras ins datenschutzrechtliche Verderben. Das hat es früher nicht gegeben!

Mittlerweile geht es aber nicht nur um die böse Werbeindustrie sondern auch um die (Achtung! Böser Bube!) Regierungen. Daniel Fiene hat sehr schön aufgedröselt, was daran absurd ist und was sogar bisweilen die Kategorie des Absurden sprengt.

Das zweite Bein der Arschbombe ist die neue Reihe S.P.O.N. – Die Kolumnisten, die uns ab sofort täglich (Wahnsinn!!!) ein Stück „Denkfutter“ übermitteln wird. Ich persönlich bin jetzt sehr froh, dass ich – von nun an – bei SPON wöchentlich Kolumnen von Jan Fleischhauer und Georg Diez lesen kann, die sich (endlich) mit „ihrer ganz persönlichen Sicht“ an mich wenden.

Wie konnte ich nur jemals ohne? Und warum macht The European darüber so komische Andeutungen? Hmm…

Ergebnis der MULTIMEDIALEN Arschbombe aus dem Hause SPIEGEL ist also, was im Prinzip zu erwarten war:

Nichts.

Interessant ist nur, dass dieses Nichts mehr als sonst von unverständlichem und berechtigtem Kopfschütteln begleitet wird. Denn das Feindbild Internet ist genauso daneben wie der Neuigkeitswert einer täglichen Kolumne.

Wer es sich traut, kann dem SPIEGEL ja mal sagen, dass es im Rundfunk (auch so ein neues und bestimmt gefährliches Medium) schon viele Beispiele für gute Kolumnen gibt. Zum Beispiel jeden Freitag mit Henryk M. Broder bei radioeins.

9 km Brandenburg – Im toten Winkel Berlins

Wir fuhren auf den Berliner Ring und machten uns auf den Heimweg. Die Sonne brach am ersten Sonntag des Jahres durch die Wolkendecke, blendete zuerst, bevor ihr Licht wärmte und erfreute. „Wollen wir über Land fahren?“ fragte ich und wurde bestätigt. Also nahmen wir die nächste Abfahrt und machten unseren Weg nicht mehr von Straßenschildern, sondern von der Himmelsrichtung abhängig.

An diese hielten wir uns: Osten. Jedenfalls grob. Durchfuhren Altlandsberg mit seiner wunderschönen Altstadt, den Bürgerhäusern und der Stadtmauer, machten einen Bogen um Strausberg – da können wir nach dem Winter auch wieder mit der S-Bahn hinfahren – und zielten ins Navi-Niemansland. Plötzlich tauchte ein Ort auf, dem ich mich seltsam verbunden fühlte: Garzau. Also bogen wir ab und fanden Wege vor, an denen das Tauwetter der vergangenen Tag weitgehend vorbei gegangen war.

Feldsteinhäuser reihten sich aneinander, die Straße verließ die asphaltierte Norm und ergab sich ihrer stolpersteinigen Vergangenheit. Dass diese Piste aber seit 1999 ein EU-Radwanderweg sein soll, ist ein Kuriosum erster Ordnung. Sei es drum. Die 9 km zwischen L(andstraße)233 (ab Garzau-Garzin) bis zur L35 (kurz vor Waldsieversdorf) waren das schönste Stück Landstraße, das ich seit langem sehen durfte. Grazau-Garzin und Liebenhof, ein Flecken in dem es immerhin eine Sternwarte gibt, sind kleine und sympatisch verschlafene Örtchen im toten Winkel Berlins.

Nach dem Buch von Dieter Moor suchen ja immer wieder urbane Menschen nach einem Ort der Stille, der aber dann irgendwie doch nicht so weit weg sein sollte von Berlin, wie zum Beispiel der Uecker-Randow-Kreis in Vorpommern. Aber Landleben, Ruhe und Tiere sollten schon da sein. Zwischen L233 und L35 sind solche Orte zu finden. An Tagen wie heute ist die Stimmung, die von der untergehenden Sonne in die Landschaft gemalt wird, schlichtweg unbeschreiblich. Hier gilt das einfache Kredo: Hinsehen entspannt und Genießen macht glücklich.

Vielleicht kommen wir im Sommer nochmal wieder und erkunden die Gegend mit dem Rad. Auf jeden Fall war die heutige Landpartie jeden Meter wert.

P.s. Das Bild ist schon ein paar Tage älter, hätte aber auch so oder ähnlich heute entstehen können. Tatsächlich stammt es aus dem wunderschönen Etzdorf in Thüringen.

Neues Jahr, neues Glück? Kleist vielleicht…

MTV ist weg (ich vermisse es schon), VIVA hat ein neues Logo (schon wieder) und ich versuche mich nun auch privat mal an Windows7. Ja, im neuen Jahr möchte ich mich Stück für Stück von XP entwöhnen und starte meine ganz eigene technische Aufholjagd.

Aber was kommt noch in 2011?

Das kulturelle Deutschland wird irgendwie „feiern„, dass Heinrich von Kleist sich vor 200 Jahren selbst getötet hat. Kann man das feiern oder sollte man lieber einmal mehr darüber nachdenken, warum er im Herbst 1811 diesen Schritt wählte? Es wird Festspiele geben, man wird sich gegenseitig versicheren, dass der gute Heinrich ein ganz armer Tropf war und sich am Ende verwundert darüber zeigen, dass er sich mit Anfang 30 selbst die Pistole in den Mund steckte.

Soll man das wirklich mit einem „Kleist-Jahr“ feiern? Ich denke nicht.

Aber wir brauchen halt auch mal wieder einen kulturellen Höhepunkt. Und bevor in diesem Jahr gar nichts passiert, nimmt man sich halt Heinrich von Kleist vor, hebt ihn auf den Schild der Kulturnation und verkennt, dass noch heute viel zu viele Kleists an den selben Problemen verzweifeln, wie Heinrich vor 200 Jahren.

Mein quattro für die Füße

„Ich versinke im weichen Schnee. Über meiner Schulter schlägt das weiße Pulver zusammen und umschließt mich fast völlig. Mein Partner fliegt neben mir vorbei, während das gesamte Gewicht über mich drüber rollt. Ich verbeiße mich im kalten Untergrund und baue den maximal möglichen Druck auf, um stabil aus dieser Lage raus zu kommen. Ich starte, fliege blitzschnell an meinem Partner vorbei, der gerade im Schnee versunken ist, und tauche wieder ein.“

Ein Tag im Leben eines Schuhs, wie es ihn dieser Tage millionenfach gibt. Aber dies ist keine Promo für einen bayrischen Automobilhersteller, mit einigen Ringen im Wappen. Auch soll hier keine Lanze für einen Schuhhersteller gebrochen werden, dessen Marke verdächtig nach einem Wiener Delikatesskaufhaus klingt. Hier ergeht jetzt eine Hymne an einen guten Schuh. Einen Schuh, der diesem Wetter einen Großteil seines Schreckens nimmt. Der Füße warm hält, einen festen Tritt sichert und selbst bei matschigem Stadtwinter außen nass und innen trocken ist. Solches Schuhwerk kann echte Freude machen. Ich springe seit einem Tag mit neuen Schuhen durch den Winter und freue mich wie blöd, dass ich gestern kurz vor Schluss das Sonntagsshopping doch noch genutzt habe. Mehr oder minder kurz entschlossen bin ich in einen mir bekannten Outdoor-Laden reinspaziert, habe mich vor die scheunenähnliche Schuhwand gestellt (Warum muss ich mitten in Berlin Angst haben, dass ich mir beim Schuhe kaufen einen riesengroßen Splitter einfange?), auf einen Schuh gezeigt und dem netten Verkäufer deutlich gemacht, dass es dieser sein soll. Er fand es offensichtlich gut, dass kurz vor Dienstschluss noch einer kommt, der weiß was er will, nicht lange quatscht und auch nur nach Hause muss.

Also trafen sich unsere Interessen. Er machte ein gutes und unerwartetes Geschäft zu später Stunde und ich bekam endlich die Schuhe, die ich eigentlich seit Wochen brauche. Stabil, bequem und wasserdicht. Und mit einer Socke mehr – sogar warm. Jetzt, am Tag eins nach dem Kauf, habe ich das Gefühl diese Leisetreter (kein Scherz) schon seit Ewigkeiten mein Eigen zu nennen. Sie passen einfach und ich laufe jetzt wieder absichtlich neben dem geräumten Streifen auf innerstädtischen Gehwegen. Das habe ich zuletzt als kleiner Junge im Skianzug gemacht. Jetzt springe ich gleich wieder los und freue mich wie blöde auf den verschneiten Weg zur S-Bahn. Wenn diese dann mal wieder 20 Minuten auf sich warten lässt, werde ich genüsslich im Schneehaufen rumstapfen, während irgend ein halb-hipper Style-Guru neben mir in seinen Chucks friert.