Von Maßstäben und Ansprüchen

Das Brandenburger Tor an einem sonnigen FrühlingstagDer alltägliche politische Kampf hat alles, was es so braucht – vom erheiternden Unterhaltungspotential bis zum genervten Kopfschüttelreflex.

Ausgetragen auf den Bühnen des Bundestages und der Landesparlamente, aber auch im steten Fluss gehalten von Medien, Parteien und vielfältigsten Interessen, ist immer was los. Ihr wollt Spiele? Ihr könnt sie haben!

Worthülsen fliegen durch die hohen Häuser unserer Republik, Interviews und Namensartikel klingen mal nach Friedenspfeife und dann auch wieder wie eine doppelläufige Kriegserklärung. Und wenn man sich mal zwei Tage die volle Dröhnung SPIEGELonline, Twitter, Phoenix und das spätabendliche Rumgetalke gibt, könnte man meinen, wir stehen kollektiv am Abgrund. Oder sind gar einen Schritt weiter?

Und was regiert? Der Superlativ. Überall nur höchste, schlimmste, sinnloseste und katastrophalste Dinge von allem. Da könnte glatt die Laune schlecht werden. Es scheint ein Wunder zu sein, dass nicht jeden Tag eine oder mehrere gesellschaftliche Gruppen den Austritt aus dem Allgemeinwesen verkünden.

„Nö Leute. Wir Rentner wollen nicht mehr. Tschüss.“

„Ach wisst ihr, wir als Studenten (Schüler, Angestellte, Selbständige, Alte, Junge,…) – ach setzen Sie doch selbst was ein – sind doch immer die Gekniffenen. Immer wir.“

Permanent ist alles schlecht. Ruhe und Besonnenheit sind fehl am Platz.

Aber was könnte uns heute noch schocken? Wo wären wir noch überrascht? Ich meine so richtig! Streik hier, Streik da. Sollen die mal machen. Das ist schon gerecht. Faszinierend, dass dieselben Leute mehr Lohn im öffentlichen Dienst fordern, die sich am nächsten Tag berechtigterweise für die Kinderbetreuung einsetzen. Kommt das nicht aus der gleichen kommunalen Kasse?

Aber Moment. Es muss doch gerecht zugehen. Und offensichtliche ist es gerechter, mehr Lohn zu fordern, als es gerecht ist, die Kinderbetreuung an den Bedürfnissen der Kinder und Eltern zu orientieren. Aber gut. So ist das halt mit Maßstäben und Ansprüchen. Und wieder kommt mir der heilige Sankt Florian in den Sinn. Aber den muss ich ja wirklich nicht immer bemühen…

Waren Sie kürzlich mal beim Finanzberater? Das ist wie eine Zeitreise. Immer noch gibt es eine ganze „Dienstleistungsindustrie“, die Geld „anlegen“ will. Früher gings nach Asien, in den neuen Markt oder erneuerbare Energien. Das war damals ne „ganz sichere Sache“. Heute kann man sein Geld beim „Vermögensverwalter“ in Hamburg anlegen. Das ist jetzt noch mehr ne ganz sichere Sache. Der hat noch Gold im Keller. Echte Werte. Sichere Sache…

Nochmal zurück: Was könnte uns heut noch schocken? Superlative und Systemkrisen sind es ja nicht. Worthülsen schon gar nicht. Das gibt’s jeden Tag und trotzdem machen wir nicht kollektiv irgendwelche Dummheiten. Unsere Reizschwelle ist, was Empörung angeht, verdammt niedrig. Um in existenzielle Not zu geraten, liegt sie wahrscheinlich so hoch wie nie zuvor.

Wie geht es weiter?

Das größte Potential liegt meines Erachtens in der Abkehr von vermeintlichen Ansprüchen und Maßstäben. Wir wollen nicht alle reich werden. Eine gerechtere Welt ist ein gutes Ziel. Aber perfekt wird sie nie. Da helfen auch keine Superlative. Wir wollen nicht alle privat krankenversichert sein, eine Dachgeschosswohnung im Prenzlauer Berg haben und jeden Tag Champagner schlürfen.

Wir wollen unser kleines Glück. Momentan halten wir uns viel zu oft selbst davon ab, indem wir uns zu viele Dinge zu eigen machen, persönlich nehmen und zu unserem ganz individuellen 1968 erklären. Aber brauchen wir eine Revolution, um uns selbst zu finden?

Erst mal sollten die Ruhe genießen und aufs Land fahren. Dann kommt die Freude von ganz allein.

Ist doch bald Ostern.

Ein Gedanke zu „Von Maßstäben und Ansprüchen

  1. Max

    Wir brauchen sicher keine Revolution um uns selbst zu finden, aber eine Änderung der gesellschaftlichen Ideale weg von maßloser Gier und Egoismus hin zu mehr Gelassenheit und Bodenständigkeit würden die Selbstfindung sicherlich erleichtern.

    Antworten

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